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26.04.2013

Indien: In der heiligen Stadt der Sikhs

Zwei neue Städte, zwei neue Gesichter von Indien: Amritsar und Chandigarh. Wir bestaunen den heiligsten Tempel der Sikhs, besuchen einen historischen Schauplatz, spazieren in einem einst illegalen Steingarten und erfahren, was eine nordindische Stadt auf unserer 10er-Note zu suchen hat.

Bei strahlendem Sonnenschein lassen wir McLeod Ganj hinter uns. Ein letztes Mal betrachten wir die verschneiten Bergkuppen, die langsam im Dunst verschwinden. Himalaya, es war schön mit dir. Die Wehmut währt nicht lange, denn bereits am frühen Nachmittag treffen wir in einer ganz anderen Stadt ein, die jedoch eine wesentliche Gemeinsamkeit mit McLeod Ganj hat: auch Amritsar ist eine zentral wichtige Stadt für eine Bevölkerungsgruppe, nämlich für die Sikhs. Hier steht der bekannte Goldene Tempel, jährlich pilgern Tausende Sikhs hierher.

Das Besondere an Indien ist, dass jeder Schritt Überraschungen innehält, Neues, Unerwartetes. In Amritsar erleben wir das täglich neu.

Das Besondere an Indien ist, dass jeder Schritt Überraschungen innehält, Neues, Unerwartetes. In Amritsar erleben wir das täglich neu. Die vielbefahrene Hauptstrasse entlangzublicken kann fast ein wenig apokalyptische Gefühle provozieren: Rauch von den kleinen Feuern, auf denen Abfall verbrannt wird, hängt in der Luft, brennt in den Augen und verschleiert den Blick, unter der Betonbrücke schlafen Kühe, Hunde und Menschen gleichermassen, die Rolladen der Geschäfte sind geschlossen, die Farbe der Häuser bröckelt ab. Dreck und Schotter am Strassenrand haben zur Folge, dass man automatisch jeden Schritt sorgfältig abwägt.

Die Stimmung ändert schlagartig, als wir in die engen Gassen der Altstadt gelangen, das Herzstück der Stadt, pulsierend, berstend vor Leben. Hier die Gasse mit Haushaltswaren: Töpfe, Pfannen, allerlei Küchenutensilien bis zur Decke gestapelt fangen unseren Blick. Plötzlich lautes Hupen, zur Seite springen, eine knatternde Vespa hat es eilig. Dann die farbigste aller Gassen: Stoffe, überall Stoffe! Keine Farbe, kein Muster, das hier nicht zu finden wäre. Fast ist es ruhig hier, die Textilien scheinen die Geräusche zu dämpfen, doch ab und zu dringt Gelächter von Frauen auf die Strasse. Sie stehen dicht gedrängt beim Schneider, verschiedene Stoffe vor ihnen ausgebreitet. Daneben ein Mann mit kunstvollem Turban, der gedankenverloren mit fachmännischen Gesten unterschiedliche Stoffqualitäten prüft. Ein paar Schritte weiter zweigt eine kleine Gasse ab, in der es plötzlich still ist. Ein einzelner Sonnenstrahl hat sich hierher verloren, still tanzen Staubpartikel im goldenen Licht. Ein alter Mann bringt ein Glöckchen zum Klingen und verbeugt sich ehrfurchtsvoll vor dem kleinen blumengeschmückten Tempel. Ein Hund gähnt wohlig und streckt sich ausgiebig.

Einmal die Altstadt durchquert erreichen wir das Wahrzeichen der Stadt: Den goldenen Tempel. Wir geben unsere Schuhe ab, bedecken vorschriftsgemäss unseren Kopf und betreten die Anlage. Der Tempelkomplex besteht aus einem strahlend weissen äusseren Gebäude, in dessen Innenhof sich ein grosser Teich befindet, in dessen Mitte wiederum der Goldene Tempel, der Hari Mandir Sahib, thront. Überwältigt vom tausendfach reflektierten Weiss reiben wir uns die Augen und flüchten erstmals in den Schatten. Die vornehme Schlichtheit und Leichtigkeit des äusseren Komplexes lässt das Gold des Tempels (man sagt, es seien 750 Kg pures Gold) noch prunkvoller erscheinen. In ihm wird das heilige Buch der Sikhs aufbewahrt, aus dem ganztags über Lautsprecher vorgesungen wird. Trotz den vielen Menschen herrscht eine angenehm unaufgeregte Stimmung, wir verweilen. Am Abend, nach Einbruch der Dunkelheit kehren wir noch einmal an diesen Ort zurück: der Marmorboden, der am Mittag noch so heiss war, ist nun angenehm kühl, am Wasser gibt es lauschige Plätzchen. Ein junger Sikh mit sorgfältig gedrehtem Schnäuzchen und kunstvollem Turban gesellt sich zu uns, wir plaudern. Er plant, in Neuseeland zu studieren.

Nicht weit vom Tempel entfernt befindet sich eine wichtige historische Stätte Indiens. 1919 fand in diesem Park das Jallianwala Bagh Massaker statt. Über 5000 Menschen protestierten friedlich gegen die britische Kolonialherrschaft, als die Armee wahllos und ohne Vorwarnung das Feuer eröffnete. Heute steht im Park ein Mahnmal für die geschätzten 1500 Opfer. Einige Einschusslöcher sind immer noch vorhanden.

Von der chaotischen, quirligen Stadt Amritsar fahren wir am Mittwoch in eine Stadt, die uns ein weiteres Gesicht Indiens offenbart. Chandigarh wurde in den 50er Jahren vom Schweizer Architekten Le Corbusier entworfen und umgesetzt. Mit seinem Sinn für Ordnung und Geometrie, die auch in seinen kubistischen Malereien zu entdecken sind, hat Le Corbusier eine Stadt geschaffen, die in Sektoren aufgeteilt ist. Statt Quartiernamen steht auf den Strassenschildern: Sektor 16-20 rechts, Sektor 25-27 links. Breite, von Bäumen gesäumte Strassen mit vielen Kreiseln bringen eine Offenheit und Weite mit sich, die leider auch mit Weitläufigkeit gekoppelt sind. Im „Le Corbusier Centre“ erfahren wir mehr über den Architekten und die Stadt Chandigarh – zum Beispiel auch, dass einige Gebäude von Chandigarh auf der 10er-Note verewigt sind, nebst dem Porträt von Le Corbusier. Die Stadt erntet Beifall wie auch Kritik – auch von uns. Die stur angelegten Strassen scheinen nicht recht zur indischen Kultur zu passen, wenn sie auch viele Vorteile mit sich bringen. Was uns vor allem fehlt sind die kleinen Läden und Dhabas (kleine Restaurants), die man in anderen indischen Städten an jeder Ecke findet, hier aber fast vergebens sucht.

Dass Le Corbusier nicht der einzige kreative Kopf in Chandigarh war, beweist der „Rock Garden“, der vom Künstler Nek Chand in den 50er Jahren im Versteckten seinen Anfang fand. Er verwendete Bauschutt und Abfall vom Bau der Stadt als Material für seine Skulpturen. Erst nach 15 Jahren entdeckte die Regierung den Garten aus Steinen und Skulpturen, der auf öffentlichem Boden wuchs. Glücklicherweise nahmen sie ihn als „kulturelles Erbe“ auf und der Garten ist heute ein vielbesuchtes Ziel.

Die nächste Herausforderung, die nun auf uns wartet, ist die Fahrt nach Delhi – eine Millionenstadt, wie wir sie so wohl noch nie erlebt haben.

India: In the holy City of the Sikhs

Two new cities, two new faces of India: Amritsar and Chandigarh. We marvel at the most sacred temple of the Sikhs, visit a historical site, stroll in a once illegal rock garden and learn why a north Indian city is depicted on a Swiss 10 francs bill.

With bright sunshine we leave McLeod Ganj. One last time we look at the snow-covered mountain tops, which slowly disappear into the haze. Himalaya, it was nice to meet you again. But the nostalgia doesn't last long, because in the early afternoon we arrive in a completely different city, which, however, has one important thing in common with McLeod Ganj: Amritsar is also a key city for a population group, namely the Sikhs. The famous Golden Temple is located here, thousands of Sikhs make pilgrimages here every year.

The special thing about India is that every second bears room for surprises, for something new, something unexpected. In Amritsar we experience this anew every day.

The special thing about India is that every second bears room for surprises, for something new, something unexpected. In Amritsar we experience this anew every day. Looking down the busy main provokes almost apocalyptic feelings: smoke from the small fires on which garbage is burned hangs in the air, burns in the eyes and obscures the view, cows, dogs and people alike sleep under the concrete bridge. The shops' shutters are closed, the color of the houses is fading. Dirt and gravel on the side of the road mean that you have to carefully weigh every step.

The mood changes suddenly when we get into the narrow streets of the old town, the heart of the city, pulsating, bursting with life. Here, the alley with household goods: pots, pans, all kinds of kitchen utensils stacked up to the ceiling catch our eye. Suddenly a loud honking, jump to the side, a rattling Vespa is in a hurry. Then the most colorful of all streets: fabrics, fabrics everywhere! No color, no pattern that cannot be found here. It's almost quiet here, the textiles seem to muffle the noises, but now and then women laugh out on the street. They stand close together at the tailor's, various fabrics spread out in front of them. Next to it is a man with an elaborate turban who, lost in thought, checks different fabric qualities with expert gestures. A few steps further down a small alley, it is suddenly quiet. A single ray of sun has lost its way here, dust particles dance quietly in the golden light. An old man rings a bell and bows reverently in front of the small, flower-adorned temple. A dog yawns comfortably and stretches extensively.

Once we have crossed the old town, we reach the city's landmark: the golden temple. We hand in our shoes, cover our heads according to regulations and enter the facility. The temple complex consists of a bright white outer building, in the inner courtyard of which there is a large pond, in the middle of which the Golden Temple, the Hari Mandir Sahib, is enthroned. Overwhelmed by the thousandfold reflected white, we rub our eyes and take refuge in the shadows. The elegant simplicity and lightness of the outer complex make the gold of the temple (they say it is 750 kg of pure gold) appear even more splendid. The holy book of the Sikhs is kept in it, and someone sings from it over loudspeakers all day long. Despite the many people, there is a pleasantly relaxed atmosphere, we linger. In the evening, after dark, we return to this place: the marble floor, which was so hot at noon, is now pleasantly cool, there are cozy spots by the water. A young Sikh with a carefully twisted mustache and an elaborate turban joins us, we chat. He plans to study in New Zealand.

Not far from the temple, an other important historical site of India can be found. In 1919 the Jallianwala Bagh massacre took place in this park. Over 5,000 people peacefully protested against British colonial rule when the army opened fire indiscriminately and without warning. Today there is a memorial in the park for the estimated 1500 victims. Some bullet holes are still there.

On Wednesday we drive from the chaotic, lively city of Amritsar to a city that reveals another face of India to us. Chandigarh was designed and implemented in the 1950s by the Swiss architect Le Corbusier. With his sense of order and geometry, which can also be discovered in his Cubist paintings, Le Corbusier created a city that is divided into sectors. Instead of the name of the quarter, the street signs say: Sector 16-20 on the right, Sector 25-27 on the left. Wide, tree-lined streets with many roundabouts bring an openness and space with them, which unfortunately are also coupled with a spaciousness that makes all walking very long. In the “Le Corbusier Center” we learn more about the architect and the city of Chandigarh - for example, that some of Chandigarh's buildings are immortalized on the Swiss 10 francs bill, along with the portrait of Le Corbusier. The city has received applause as well as criticism - also from us. The stubbornly laid out streets do not seem to fit in with Indian culture, even if they have many advantages. What we are missing above all are the small shops and dhabas (small restaurants) that you can find on every corner in other Indian cities, but are almost non existant here.

The fact that Le Corbusier was not the only creative head in Chandigarh is proven by the “Rock Garden”, which was secretly begun by the artist Nek Chand in the 1950s. He used rubble and waste from the construction of the city as material for his sculptures. It was only after 15 years that the government discovered the garden made of stones and sculptures, which grew on public land. Fortunately, they included it as "cultural heritage" and the garden is now a popular destination.

The next challenge that awaits us is the drive to Delhi - a city of millions like we have never seen before.

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